10.07.2016 12:00
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Maria Elisabeth de Boor, geb. Timmermann (1746-1810)

Frau de Boor, Ölgemälde von J. H. Tischbein d. Ä. 1781
      Jochim
Timmermann
1702-1787
oo Elisabeth
Negenborn
1712-1761
     
        |        
      Johann
Garlieb
1743-1???
Magdalena
Cornelia
1745-1???
Joh. Abraham
de Boor
1732-1799
1. / 2.
oo
 
Maria Elis.
Timmermann

1746-1810
Catharina
Maria
1747-17??
            |    
          Cornelia

1768-1833
N.N.

1770
Charlotte

1772-1842
Carl
Friedrich
1776-1848
  Maria Elisabeth de Boor, geb. Timmermann, * 04.07.1746 in Hamburg, † 13.04.1810 in Hamburg. Bildnis- und Miniaturmalerin. Tochter des Jochim Timmermann, Hamburger Weinhändler und der Elisabeth, geb. Negenborn (T. d. Johan Daniel Negenborn).

Maria Elisabeth war das sechste Kind des Jochim Timmermann, einem angesehenen Kaufmann und Weinmakler aus Hamburg. Durch das Vermögen des Vaters wohlbehütet, erfuhr sie schon in früher Kindheit den Umgang mit der Musik, Malerei und Kunst. Im Alter von elf Jahren zeichnete Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789) sie erstmals im Miniaturporträt, 1758 folgte das Familienbild auf der Loggia des elterlichen Hauses. Die dargestellte Szene einer wohlhabenden Bürgerfamilie bei der Kaffee- oder Teezeremonie, begleitet durch das Musizieren am Spinett und Cello, die Unterhaltung der beiden älteren Herren und der lesende Knabe deuten auf ein neues aufgeklärtes Selbstverständnis hin. „Familiensinn, Häuslichkeit, eheliche sowie Eltern- und Kinderliebe als familiäre Werte und Inbegriff bürgerlicher Tugenden sind hier zum Ausdruck gebracht.
[1] Auch Jahrzehnte später wurde im Hause der Familie immer wieder „Conzert gegeben“ und begleitet von Klavier und Gitarre gesungen.[2]
Das unbeschwerte Leben der Elisabeth und ihrer fünf Geschwister auf dem Anwesen endete jedoch 2 Jahre später, als die Mutter schwer erkrankte und schließlich 10 Monate später, am Neujahrstag des Jahres 1761, starb.  

Als Elisabeth im heiratsfähigen Alter war, fiel die Wahl auf Johann Abrahm de Boor, dessen Vater - wie auch Jochim Timmmermann - seit Jahrzehnten Mitglied im Amt der Weinverlasser und Faßbinder war. Als Nachfahre einer Flüchtlingsfamilie reformierten Glaubens kam der Sohn im 7jährigen Krieg zu einem Vermögen und war nun im Begriff den Weinhandel des Vaters zu übernehmen.

Auszug aus dem Traubuch der Deutsch-Evangelisch-Reformierten Gemeinde, 1766Das Aufgebot erfolgte zwar noch in der ref. Gemeinde, doch notierte der Pfarrer im Traubuch
[3] bereits den Hinweis auf eine lutherische Hochzeit. Die Trauung des Johann Abraham de Boor mit der Jungfrau Maria Elisabeth Timmermann, am 19. November 1766, fand in der evang.-luth. Kirche St. Nicolai[4] statt und nicht in der reformierten Gemeinde. Sie wohnten demzufolge im Kirchspiel St. Nikolai, zu dem auch der Rödingsmarkt gehörte, wo Johann Abraham eine Weinhandlung betrieb und vermutlich auch schon sein Vater ansässig war.

In den folgenden Jahren bekamen sie 4 Kinder: 1768 Johanna Cornelia, 1770 Wilhelmine (sie verstarb noch im selben Jahr), 1772 Cecilia Charlotte und 1776 den wohl ersehnten Sohn, der den Namen Carl Friedrich erhielt. Fand die Hochzeit noch im Kirchspiel St. Nicolai statt, wurde die Taufe des Letztgeborenen in der Kirche St. Michaelis – in der Hamburger Neustadt – vollzogen. Es scheint daher, dass die Familie sich nach einer größeren Wohnung umgesehen hatte und deshalb in das Haus bei den Kohlhöfen No. 66 zog.
Während der Ehemann mit der Weinhandlung „Unglück hatte" bzw. „unglückliche Geschäfte" machte und sich in Folge dessen eine Anstellung bei dem Handelshaus Caspar Voght & Co. verschaffte, hatten sich für Elisabeth ganz neue künstlerische Möglichkeiten eröffnet. 
Der Hamburgische Correspondent berichtet in seiner Ausgabe Nr. 178 des Jahres 1780: „Die Maler= und Bildhauer=Akademie zu Cassel hat in ihrer letzten Herbstversammlung die Frau M. E. de Boor zu Hamburg, wegen ihrer Kunst im Miniaturmalen, unter die Zahl ihrer Ehrenmitglieder aufgenommen." Um ihre Fähigkeiten noch weiter zu verbessern, war sie in das mehr als 300 km entfernte Cassel gereist und hatte den - in bestimmten Klassen auch für Frauen zugänglichen - Unterricht der Akademie besucht. Wie die meisten Frauenzimmer nahm sie vermutlich auch Privatstunden in der Werkstatt von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789), dessen Lehrtätigkeit an der Kunstakademie große Beachtung fand.
[5]
Bei dieser Gelegenheit schuf der Meister die Porträts[6] der „Frau de Boor" und ihres Mannes, das ihn mit einer gepuderten Perücke, in dunkelgrauem Rock und Weste mit weißer Halsbinde und Jabot zeigt. In dieser Zeit ist auch ihr Besuch im Museum Fridericianum belegt, als sie sich im August 1781 in das ausgelegten Fremdenbuch
[7] entrug, wo sich Jahre zuvor schon der Ehemann verewigte.

1783 reiste Joh. Abraham de Boor im Auftrag des Hamburger Senats nach Nordamerika, um dem Präsidenten die offiziellen Glückwünsche zur Unabhängigkeit zu überbringen und der Regierung die Vorteile für den Handel zwischen Hamburg und den USA zu unterbreiten. Die Trennung von ihrem Ehemann wird annähernd zwei Jahre gedauert haben. Eine Zeit in der Elisabeth die Verbindungen mit der Hamburger Gesellschaft erneuerte u. a. mit dem Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803).

  M. E. de Boor mit Palette und Pinsel    
Minerva Rötelzeichnung, 1782 Maria Elisabeth de Boor
Bei einer Begegnung mit Johann Valentin Meyer (1745-1811), der in der Hansestadt als einer der bedeutendsten Kunstsammler galt, hinterließ sie in dessen Stammbuch[8] zwischen Einträgen von Goethe, J. H. Tischbein und Klopstock ein kleines Kunstwerk.
Eine Rötelzeichnung (18,2 x 11,5 cm) der Göttin Minerva (Ausschnitt s. links), Bez. u. r.: Mar: Elis: de Boor, [unleserlich] Hamburg 1782.
Motive mit mythologischen Szenen, wie J. H. Tischbein d. Ä. sie häufig anfertigte, sind vor ihr nicht bekannt. Vielmehr finden sich Darstellungen aus der biblischen Geschichte, wie die Bildnisse der Maria, der 4 Evangelisten oder die Geburt Christi (alle in Öl).
Für das 1785 fertiggestellte Hamburger Waisenhaus in der Admiralitätsstraße, in dessen Gebäudemitte sich eine Kirche befand, erschuf sie das Altarbild. Der spätere Prediger und Schulinspektor Karl Johann Heinrich Hübbe notierte später nüchtern:
„Das Altarblatt ist von der Hand einer verstorbenen Kunstfreundin und stellt die Einsetzung des Abendmahls vor. Ungeachtet mancher gegründeten Ausstellungen ist es im Ganzen doch ein gelungenes Werk. Das rosenrothe Gewand der Hauptfigur, des Erlösers, möchte man wegwünschen. Kenner wollen in dem Gesichte den feierlichen Ernst der
Andacht vermissen. Johannes ist ein schöner Kopf. Das abgewandte Gesicht des Judas zeigt mehr einen pfiffigen Gauner, als den schwermüthigen zu seiner That noch unentschlossenen Verräther, wie er in der Geschichte erscheint. [...] Auf diesem Gemälde scheint auch das Osterlamm noch unangerührt zu seyn, da doch das Abendmahl erst nach der Mahlzeit eingesetzt ist. Etwas modern ist auch die Form des Brods, welches damals platte Brodkuchen waren."[9]
Dennoch wurde die Schenkung an das Waisenhaus von Besuchern überwiegend als ein schönes Öhlgemählde", als schätzenswerth anerkannt" und von parteilosen Kennern geachtet" beschrieben.
 
 Friedrich Gottlieb Klopstock 1724-1803, Ölgemälde von M. E. de BoorAnerkennung wurde der Malerin auch für das lebensgroße Bildnis des in Hamburg besonders verehrten Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock zuteil. Das Gemälde (Öl auf Leinwand), Bez. u. l.: 1792 gemahlt von Mar: Elis: de Boor, entstand nachdem Klopstock im Herbst 1791 mit Elisabeth Dimpfel, verw. von Winthem seine zweite Ehe einging. Als Geschenk an die Ehefrau bestimmt, wurde es erstmals im Mai 1803 im großen Saal des Ratskellers im Eimbeck'schen Haus gezeigt.[10]
Jahre später wird mit dem Gemälde noch einmal an den Dichter erinnert. Anlässlich der Gedächtnisfeier zum 94 Geburtstag von Klopstock im „Lokal von Rainvilles Garten in Ottensen, dessen Eingang sich am Kirchhofe vor Klopstocks Grablinde öffnet", so berichtet das Morgenblatt für gebildete Stände 1817 und informiert die Leserschaft weiter: „In dem Saal des Vereins hing mit Lorber behängt auf weissen Gewändern Klopstock lebensgroßes Bildniß von Elisabeth de Boor, seiner nun auch verstorbnen Freundin und zugleich auch ausübender Kunstliebhaberin, mit dem voll ausgefassten Ausdruck seines Geistes der Liebe gemahlt."
[11]
Das Gemälde kam schließlich über die Familie v. Winthem und dem Altonaer Museum in das Museum für Hamburgische Geschichte, wo es seitdem im Klopstockzimmer ausgestellt wird. Zwei weitere Porträts (nach dem Leben gezeichnet), dienten später als Vorlagen für Kupferstiche.
  Friedrich Gottlieb Klopstock,           
"1792 gemahlt von Mar: Elis: de Boor" 
  
Die Versuchung des hl. Antonius, Miniatur von M. E. de Boor Die breite Palette ihrer Maltechniken und verwendeten Materialien, wie das Altarbild in Ölfarben, die Rötelzeichnung der Minerva, die Kopfstudien aus Gips, Porträts oder die Sepia-Zeichnung des Lizentiaten Friedrich G. Vogel, aber auch die Darstellung einer kleinen Porcelandose, zeugen von ihrer künstlerischen Begabung - ihre eigentliche Leidenschaft galt aber wohl der Miniaturmalerei, mit der sie bereits bei der Aufnahme an der Académie de Peinture et de Sculpture de Cassel beeindruckte. Über das Aufnahme- stück aus dem Jahr 1780 ist nichts weiter bekannt; wie das Miniaturbildnis jedoch ausgesehen haben könnte, zeigt die „Versuchung des heiligen Antonius" (Papier auf Holz, 7,8 x 10 cm). Als Vorlage diente ihr das um 1610/15 entstandene Gemälde von Franz Francken d. J., von dessen Darstellung sie die Gruppierung und Farben der Figuren weitgehend übernahm.
Die Miniatur befindet sich heute im Bestand Alte Meister in der Kunsthalle Hamburg.

Hamburg galt zwar von jeher als bedeutender Ort des Kunsthandels, die für die Anfertigung der Gemälde notwendigen Utensilien waren aber offensichtlich nur in geringem Umfang und Qualität erhältlich. Zu jener Zeit waren Paris oder Amsterdam Zentren einer Vielzahl von Künstlern. „Man sagt mir, daß jezt 50 deutsche Künstler in Paris zum studieren sich aufhalten sollen", schrieb die Mutter an ihren in Paris verweilenden Sohn und dessen Schwester notierte weiter aus dem fernen Hamburg: „Tischbein hat uns gesagt daß in Paris alle Arten von Pinsel zum Öhlmahlen vorzüglich gut zu bekommen wären. Du würdest Mutter sehr erfreuen wenn du ihr, neben dem Venetianischen Lack, von jeder Gattung Pinsel einen kleinen Vorrath mitbrächtest." Aber auch die notwendige Leinwand für die Bilder blieb nicht unerwähnt: „Mutter läßt dir sagen, wenn du das Tuch zum mahlen, so breit wie sie es gewünscht nicht erjagen köntest, möchtest du es nur in der Breite von fünf Virtel nehmen."
[12]

Die Anzahl ihrer geschaffenen Werke lässt sich heute nicht mehr ermitteln, zumal sie als Frau und trotz ihres zweifellos vorhandenen Talents und der ihr gewährten Anerkennung nur bedingt als Künstlerin angesehen wurde. In der Gesellschaft „galt für die weibliche Bevölkerung nahezu jede über die häusliche Verpflichtungen hinausgehende Betätigung als anstößig - auch die der Malerei."
[13]

Sie war eine im wahrsten Sinne und bereits zu Lebzeiten häufig bezeichnete Liebhaberin der Kunst; die in ihrem Besitz befindlichen Bilder hatte sie in ihrem Testament vorsorglich für ihren einzigen Sohn bestimmt. Carl Friedrich de Boor sollte nicht nur „alles übrige an hölzerne und metallene Hausgeräthe" erhalten, sondern auch „meine Gemälde und Kunst=Sachen".

Nach dem Tode des Joh. Abraham de Boor 1799, heiratete die Witwe am 20. Okt. 1801
[14], schon über 55 Jahre alt, den langjährigen Freund und Paten ihrer Kinder Friedrich Gerhard Vogel (1738-1814).
Sie selbst starb am 13. April 1810; fünf Tage später fand in der St. Michaeliskirche die Beerdigung statt. Über die Begräbnisstätte heißt es im Leichenbuch: „Große Kirche im eigenen Grab".
[15]
 
 
 
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[1] FLOHR, Anna-Charlotte: Johann Heinrich Tischbein d.Ä. (1722-1789) als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis. München, 1997. In tuduv-Studien: Reihe Kunstgeschichte; Bd. 77, S. 91.
[2] Familienarchiv de Boor - Landesarchiv Schleswig Abt. 399.9 Nr. 21. Briefe des Dr. Carl Friedrich de Boor aus Paris an seine Schwester Lotte u.a. mit Gegenbriefen Lottes 1802-1803.
[3] StA Hbg, 521-4 Deutsch-Evangelisch-Reformierte Gemeinde, V D 4a, Traubücher 1688-1815, 1766, S. 194.
[4] Trauregister der ev.-luth. Kirche St. Nicolai, Jahrgang 1766, Blatt 129.
[5] "Um sich noch weiter auszubilden, reiste sie sogar nach Cassel zu meinem Onkel." in: TISCHBEIN, Wilhelm: Aus meinem Leben. Dr. Carl Schiller (Hg.). Erster Band. Braunschweig 1861, S. 80.
[6] Die Gemälde wurden 2012 und 2014 im Ausland erworben und befinden sich wieder in Familienbesitz, z.Z. im Museum für Hamburgische Geschichte.
[7] Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel. Auf S. 166 der Eintrag am 24. oder 25.08.1781: "Mar. Eli. de Boor aus Hamburg".
[8] Stammbuch des Johann Valentin Meyer, Museum für Hamburgische Geschichte.
[9] HÜBBE, Karl Johann Heinrich: Ansichten der freien Hansestadt und ihrer Umgebung, Band 1, S. 108; 1824.
[10] Klopstock war einige Wochen zuvor gestorben - Anlass war aber die von der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe veranstalteten sechsten Ausstellung von Kunstwerken, nützlichen Erfindungen und Arbeiten, von Künstlern und Kunstarbeitern der drei Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg.
[11] Morgenblatt für gebildete Stände, Nro. 175, Mittwoch, 23. July 1817.
[12] Familienarchiv de Boor - Landesarchiv Schleswig Abt. 399.9 Nr. 21. Briefe des Dr. Carl Friedrich de Boor aus Paris an seine Schwester Lotte u.a. mit Gegenbriefen Lottes 1802-1803.
[13] aufgedeckt. Malerinnen im Umfeld Tischbeins und der Kasseler Kunstakademie 1777-1830. Herausgegeben von Martina Sitt anlässlich der vorgenannten Ausstellung. Darin der Beitrag: Urteile durch die Jahrhunderte von Jasmin Trächter.
[14] Auszug aus dem Trauregister der evang.-luth. Kirche St. Nicolai in Hamburg 1801.
[15] Staatsarchiv Hamburg, 512-7 St. Michaeliskirche, Nr. E 3 Leichenbuch 1801-1811.



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